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Warum ein Röntgenbild der Nasennebenhöhlen nicht mit Methoden der 1980er Jahre analysiert werden sollte

Gero Strauss • März 17, 2023

Die Zeit der Verschattungen sollte vorbei sein

Die Röntgenuntersuchung ist und bleibt das wichtigste Verfahren für die Bestimmung der Nasennebenhöhlen-Anatomie. Kein anderes Verfahren bietet eine so gute Auflösung der feinen knöchernen Strukturen aus Siebbein, Kieferhöhle, Stirnhöhle und Keilbeinhöhle. Besonders die millimetergroßen Verbindungen zwischen den Nebenhöhlen und der Nasenhaupthöhle sind für die Funktion des gesamten Systems Nase von großer Bedeutung. Die Techniken des Röntgens sind seit den 1970er Jahren regelmäßig verbessert worden: über das digitale Röntgen, die Computertomographie, die Spiral-CT, die HR-CT,  Mul­ti­de­tek­tor-CT und schließlich die Cone-beam Computertomographie ist die Qualität und Quantität der Aufnahme mindestens um den Faktor 100 gestiegen.


Unsere Methoden, HNO-ärztliche Röntgenaufnahmen zu beurteilen haben sich hingegen kaum verändert. Wie in den Zeiten von God­frey N. Houns­field und Lund-Mackay (1993) werden die "Verschattungen", also Ablagerungen von Flüssigkeit, geschwollenen Gewebe, Polypen oder Gewebe in den eigentlich lufthaltigen Höhlen beurteilet und in 3 Grade unterteilt.  Dabei gibt es vor allem 2 Argumente, die heutzutage bei der Beurteilung von hochauflösenden Röntgenbildern beachtet werden müssen und uns zwingen sollten, unsere Techniken und Instrumente anzupassen:


3 Schwergrade für Millionen von Bildpunkten und bei einer Auflösung von unter 0.2 mm?

Tatsächlich erscheint diese Auswertung einigermaßen veraltet. Als hätten wir HNO-Ärzte übersehen, dass wir inzwischen mit einer detailgetreuen 3-D-Karte arbeiten und jedes Detail dieses Systems erkennen könnten, wenn wir nur wollten.


Klassifikation von dynamischen Prozessen in Momentaufnahmen?

Jeder HNO-Arzt weiß, dass die Korrelate der Verschattungen sich schnell verändern können. Nicht nur Flüssigkeit kann in Sekunden abfließen, auch Polypen können in Minuten abschwellen, z.B. beim Einsatz abschwellender Medikamente. Die Nasenschleimhaut verfügt über ein gewaltiges Schwellungspotential, aber auch die Instrumente, die Schleimhaut sehr schnell zu normalisieren. Mit dem Blick auf die Verschattungen werfen wir somit einen Blick auf eine Situation, die beeindruckend, jedoch im nächsten Moment völlig anders sein kann. Wir verallgemeinern aus einer Verschattung auf eine Erkrankung und wundern uns, weshalb die Beschwerden mit einer "Ausräumung" und "Fensterung" so selten verschwinden.


Wir beurteilen mit Verschattungen nur die temporären Folgen, nicht die Ursachen der Erkrankung

Die Erklärung ist ganz einfach: mit dem Fokus auf die Verschattungen betrachten wir nur die vorübergehenden und wechselhaften Folgen einer Erkrankung, deren eigentliche Ursache jedoch vor allem in der Anlage des knöchernen NNH-Systems liegt: das Ostium zur Stirnhöhle, das Ostium zur Kieferhöhle, die Ausprägung der mittleren Nasenmuschel und der Bulla ethmoidalis (=Infundibulumweite) und schließlich überflüssige, aber störende Zellen (Kuhn, Haller) prägen die Möglichkeit der Selbstreinigung der Nase und der Nebenhöhlen. Es ist verwunderlich, weshalb die HNO so lange brauchte, um diese Diskrepanz zu erkennen. Noch heute prägt die veraltete Sicht auf Verschattungen zahlreiche HNO-Schulen und führt zu erbitterten Diskussionen um die richtige Interpretation der Bilder, mit der nicht selten eine OP-Indikation verbunden ist.


Wie machen wir es heute?

Seit 2018 nutzen Anbieter wie  KOPFZENTRUM das von ACQUA Medical entwickelte System des Intranasal Drainage Score (IDS). Dabei werden überwiegend sehr hochauflösende CBCT der Nasennebenhöhlen beurteilt, grundsätzlich ist der Index aber auch für geringer aufgelöste CT anwendbar. Der IDS beurteilt folgende Parameter (jeweils werden beide Seiten einbezogen):

- Soft Block (= Verschluss) der Ostien zur Stirnhöhle

- Soft Block (= Verschluss) der Ostien zur Kieferhöhle

- Einschränkung des Ostiums zur Stirnhöhle durch Kuhn-Zellen

- Einschränkung des Ostiums zur Kieferhöhle durch Haller-Zellen

- Vergrößerung der Bulla ethmoidalis

- Vorhandensein einer pneumatisierten (=luftgefüllten und vergrößerten) mittleren Nasenmuschel (=Concha bullosa)


Mit Hilfe dieser Parameter resultiert ein IDS, der mit Hilfe von Algorithmen klar einer normalen oder krankhaften Anatomie zugeordnet werden können. Diese korrelieren nach den ersten Ergebnissen an mehr als 500 Patienten deutlich besser mit der tatsächlichen Erkrankung und den Potentialen einer möglichen Operation, als der Lund-Mackay-Score (LMS). Der IDS soll zusammengefasst folgende Vorteile bieten:


  1. Der IDS beschreibt vorrangig anatomisch angelegte und nicht-dynamische Veränderungen, die der tatsächlichen Ursache der Erkrankung entsprechen.
  2. Der IDS ist nicht anfällig für kurzfristige Veränderungen, wie Polypen oder Oedem. Damit ist der IDS geeignet, unnötige invasive Interventionen (Operationen) vorzubeugen. Der IDS soll OP-Indikationen auf Konstellationen beschränken, bei denen eine Erweiterung der Drainagewege einen Vorteil in der Erkrankung bringen kann. OP-Indikationen, bei denen sich der Operateur kurze Zeit nach dem Röntgenbild überrascht zeigt, weil die "Verschattungen" nicht mehr zu finden sind, sollen dadurch vermieden werden. Gleichzeitig kann der IDS frustrane Behandlungen mit Medikamenten bei einer signifikanten Enge der Drainagewege verhindern.
  3. Der IDS ist weitgehend unabhängig vom (menschlichen) Betrachter und kann grundsätzlich auch vollständig mit Hilfe von Algorithmen zuverlässig bestimmt werden.
  4. Der IDS ist reproduzierbar und zeigt, im Unterschied zum LMS, eine deutlich geringere Streuung bei der Beurteilung durch unterschiedliche Experten.


Ob der IDS das Zeug hat, die Bewertung der NNH-Röntgenbilder zu modernisieren und in der Breite der HNO-Ärzte angewendet werden kann, wird sich in der Zukunft noch zeigen. In jedem Fall ist es sinnvoll, den behandelnden HNO-Arzt nach der Methode zur Auswertung des NNH-CT oder CBCT zu fragen.

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