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Warum ich kein Kassenarzt mehr sein möchte

GS208417_20221223191547 • März 02, 2023

Genug ist genug.

Im Jahr 1990 eröffnet mein Vater die erste Kassenarztpraxis für HNO-Heilkunde nach den bundesdeutschen Regelungen der "Kassenärztlichen Vereinigung" in Leipzig. Schon damals half ich meinem Vater in den Praxen. Es war selbstverständlich, dass wir -besonders zu Quartalsende- bis spät in die Nacht in den Praxen waren, um die damals schon recht aufwändige Verwaltung der Behandlung zu erledigen. Von früh an lernte ich die Besonderheiten des GKV-Systems mit seinem eigenen Vergütungskatalog (EBM) und den Regularien der KVén (Budgets, Formalitäten) kennen. Ich erlebte aber auch die Freiheit des Arztes, Patienten unabhängig von deren Einkommen oder Versicherung zu behandeln.


33 Jahre später gebe ich meine kassenärztliche Zulassung ab. Obwohl ich in dieser Zeit aus der Praxis meines Vaters ein mittelständisches Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern, davon bis zu 30 Ärzten an 17 Standorten in Mitteldeutschland und die erste spezialchirurgische HNO-Klinik außerhalb des staatlichen Bettenplans in Deutschland aufgebaut habe. Obwohl wir gemeinsam mehr als 100.000 Patienten pro Jahr behandelt und bis zu 4.500 Patienten pro Jahr ambulant operiert haben. Obwohl wir mit den Operationen der Nasennebenhöhlen und des Mittelohres die ambulante HNO-Chirurgie in Deutschland in Bewegung gesetzt und damit unseren Patienten Krankenhaustage, Krankentage, Infektionen und den Kostenträgern viel Geld erspart haben. Obwohl ich den einzigen Vertrag in Deutschland zur ambulanten Versorgung ertaubter Patienten mit einem Cochlea Implantat mit den gesetzlichen Krankenkassen abschließen und beweisen konnte, das diese Versorgung auch zur Hälfte der Kosten einer stationären Versorgung funktioniert. Obwohl Jahr für Jahr mehr Patienten unsere Leistungen in Anspruch genommen haben. Obwohl wir neben unserer Arbeit am Patienten geforscht, entwickelt und diese Arbeit selbst finanziert haben. Obwohl wir mit der ACQUA Academy ein eigenes Trainingszentrum aufgebaut hatten, welches internationale Bekanntheit erlangte. Obwohl die Behandlung unserer Patienten mit EUR 45 pro Quartal (konservative Behandlung) und EUR 380 EUR pro OP unter dem Durchschnitt der HNO-Kassenärzte und ganz weit unter den Kosten einer entsprechenden Krankenhausbehandlung gelegen haben. Obwohl unsere angestellten Ärzte Gehälter nach dem Krankenhaustarif, mehr als angestellte Ärzte in den meisten Praxen, bekamen. Obwohl wir in 13 Jahren insgesamt 47 Assistenzärzte ausgebildet und Wissen, Leidenschaft und Geld investiert haben.


Oder vielleicht gerade deshalb. Nachdem uns die interessierte Öffentlichkeit in den ersten 10 Jahren wohlwollend begleitet hatte und wir nur unsere "Revierkämpfe" mit den überwiegend staatlichen Mitbewerbern ausgefochten hatten, die von unserem Erfolg nicht so begeistert waren, begann im März 2021 der Mitteldeutsche Rundfunk über Kopfzentrum, die ACQUA Klinik und mich zu berichten. Heute weiß ich, dass die Sendung eines investigativen Journalisten von Anfang an darauf angelegt war, unser Arbeit in Verruf zu bringen und dazu eine "Serie" von Sendungen vorgesehen waren. Die Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit war die eine Sache: die allermeisten Patienten hielten uns die Treue, selbst die wirren und zynischen der meist nie bewiesenen Vorwürfe konnten das Vertrauensverhältnis nicht erschüttern. Die andere Sache war die Reaktion unserer Standesvertretungen und der ärztlichen Selbstverwaltung. Getrieben von den MDR-Sendungen fielen die Funktionäre der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, der Landesärztekammer Sachsen, der Landesdirektion Sachsen und des Berufsverbandes der HNO-Ärzte über uns her. Selbst hohe Amtsträger waren sich nicht zu schade, falsche Tatsachen zu behaupten oder wenigstens zu dulden. Schließlich folgte die Kassenärztliche Vereinigung den Behauptungen des MDR und stellte eine Strafanzeige gegen Kopfzentrum und meine Person wegen "Abrechnungsbetruges" und diverser anderer "Vergehen". Gerade als wir glaubten, dass nun alle Vorwürfe des MDR widerlegt seien konnte die Staatsanwaltschaft nach 1,5 Jahren Vorbereitung und gescheiterter Bemühungen eine Razzia zur Sicherstellung von Beweisen durchsetzen.


Dabei hatten wir ganz besonders im Bereich der Kassenabrechnung ein transparentes und manipulationssicheres System entwickelt. Bei uns war der Arzt streng von der Leistungsabrechnung getrennt. Die Kodierung der Leistungen erfolgte durch Profis, die in der Gebührenordnung und den Regelungen der KV zu Hause waren. Das Gehalt unserer Ärzte war immer unabhängig von erzielten Umsätzen, es gab keinen Anreiz, in irgendeiner Form die Kodierung "zu optimieren" oder ein "upcoding" vorzunehmen, wie heute in Fachkreisen das systematische Heraufrechnen ärztlicher Leistungen bezeichnet wird. Es war deshalb nicht überraschend, dass wir in über 50 Quartalsabrechnungen mit über 1 Million Patienten niemals ein Rüge wegen einer fehlerhaften Abrechnung erhalten hatten. Vor diesem Hintergrund sollten plötzlich 10 Patienten, die alle wegen angeblich schlechter Behandlung gegen uns klagten, als Beweis für einen systematischen Abrechnungsbetrug herhalten. Dabei hatte uns keine der zahlreichen Aufsichtsbehörden zuvor aufgefordert, eine Abrechnung zu erläutern, Unterlagen oder Datensätze zur Kontrolle zu übergeben. Man entschied sich für die medienwirksame und karrierefördernde Variante mit 300 Polizisten, die im Oktober unsere Praxen und Wohnungen stürmten.


Zum eigentlichen Verfahren gibt es nicht mehr zu sagen, als dass ich den Behörden und Gerichten vertraue und darauf hoffe, dass mit einigem zeitlichen Abstand die Vorwürfe entkräftet werden können. Nur so wird es möglich sein, dass meine Kollegen wieder in dem vertrauensvollen Umfeld arbeiten, welches sie verdienen.


Für mich habe ich den Entschluss gefasst, dieses System zu verlassen. Nach 300 Polizisten und den Bildern und Nachrichten, die der MDR verbreitete, gilt für mich keine Unschuldsvermutung mehr. Darunter würde jede Behandlung, jede Empfehlung, jede Operation leiden. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, Zeit und Kraft in ein System zu investieren, welches kein Interesse an privatwirtschaftlichen Innovationen hat. Natürlich weiß ich, dass wir nur zu früh waren, wir in einer staatsgläubigen und konservativen Umgebung es besonders schwer hatten und unsere Lösungen die Zukunft der Medizin sind. Ich werde diese jedoch mit etwas Abstand betrachten müssen. Denn, genug ist genug.


Ich bedanke mich bei meinen Patienten. Für mich war es immer eine Ehre, Sie zu behandeln.

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